• Kleingartenwesen

Der Bundeskanzler im Interview

Eine Perspektive für Kleingärten

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Olaf Scholz im InterviewFoto: Verlag W. Wächter 

Muss das Bundeskleingartengesetz geändert werden? Sollten neue Kleingartenanlagen gebaut werden? Oder: Was kann die Bundesregierung tun, um Kleingartenanlagen in Ballungsräumen dauerhaft zu erhalten? Im Rahmen der Besichtigung der „Kleingartenanlage Am Schellenberg“ in Castrop-Rauxel Ende August beantwortete Bun­deskanzler Olaf Scholz dem „Garten­freund“ exklusiv Fragen zum Kleingartenwesen.
 

Was verbinden Sie persönlich mit dem Kleingartenwesen, mit Kleingärten?
Kleingärten gehören zu Deutschland wie Currywurst, Fußball und Weihnachts­märkte. In meiner Heimatstadt Hamburg gibt es sehr, sehr viele Kleingärten – manche schon länger als 100 Jahre. Und es gibt einen breiten Konsens in der Stadt, dass trotz der Notwendigkeit, dass es mehr Wohnraum braucht, die Kleingärten wichtige Orte bleiben müssen, an denen die Bürgerinnen und Bürger ihre Freizeit im Grünen verbringen können; insbesondere diejenigen, die kein Eigenheim mit Garten haben. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir die Kleingärten in Deutschland schützen.

Beim Druck der Stadtentwicklung gibt es immer das Problem, dass die Kleingärten vielfältige Ökosystemleistungen erfüllen, vor allem sind sie für die Klima­anpassung wichtig, weil sie etwa Kaltluftschneisen bilden oder die Temperaturen in der Stadt senken. Welche politischen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass Kleingärten für das Stadtklima so wichtig sind?
Natürlich leisten Kleingärten einen wichtigen Beitrag für das städtische Ökosystem. Wenn neue Stadtteile entstehen, müssen solche grünen Oasen mitgeplant werden. Mein Rat: Die Kommunen sollten sich vorher verständigen, wie viele Kleingärten sie insgesamt anbieten wollen. Und selbst wenn dann neue Siedlungen entstehen, für die auch mal eine Kolonie weichen muss, sollten die Gärten dann zum Ausgleich an anderer Stelle geschaffen werden. Sodass die Zahl der Gärten stabil bleibt. Schließlich ist die Nachfrage groß und die Wartelisten für Kleingärten sind lang – das zeigt: Die Politik hat da einen klaren Auftrag.

Was kann die Bundesregierung tun, damit mehr neue Anlagen in den Städten entstehen?
Der Bund kann das Kleingartenwesen schützen und die Kleingärten rechtlich absichern. Wichtig ist, dass der Kleingarten ein Garten bleiben sollte. Das schützt ihn auch vor Siedlungsbau.

Was kann die Politik noch tun? Es ist ja immer noch ein großes Problem, dass Kleingärten überbaut werden.
Wie gesagt, es braucht einen Konsens, dass es Kleingärten in Städten und Gemeinden braucht. Wenn man in dieser Frage einig ist, müssen die Betroffenen vor Ort aushandeln, wie die Kleingarten-Kolonie auf der einen und der berechtige Wunsch nach mehr bezahlbaren Wohnungen auf der anderen Seite miteinander in Einklang gebracht werden. Es gibt viele gute Beispiele, wie das gut gelingt. Nicht zuletzt, dass diejenigen, die in Mehrfamilienhäusern ohne Garten wohnen, oft ebenfalls einen Kleingarten hätten. Das ist auch ein Stück Frieden und Freiheit.

Kleingarten von obenFoto: picture alliance/dpa/Peter Kneffel

Eine gute Möglichkeit, Kleingärten zu schützen, wären ökologisch aufgewertete Kleingartenanlagen oder Teile von ihnen als Ausgleichsflächen auszuweisen. In der Bundeskompensationsverordnung werden aber selbst strukturreiche Kleingärten auf eine Stufe mit Brachflächen oder Dauergrünland gehoben, was ich für eine sehr schlechte Bewertung halte. Müsste man sich diese Verordnung nicht noch einmal angucken?
Ich halte es für erwägenswert, darüber nachzudenken, ob Kleingärten noch stärker als Ausgleichsflächen genutzt werden können, denn von denen brauchen wir ja mehr. Das müsste allerdings mit einer Verständigung einhergehen, welche Anforderungen ein solcher Klein­garten dann erfüllen muss. Vielleicht sollte man auch diskutieren, ob bestimm­te Teile einer Kleingartenanlage auch wie ein Park genutzt werden kann. Das wird nicht überall gehen und auch nicht überall auf Einvernehmen der Pächterinnen und Pächter stoßen, aber grundsätzlich halte ich die Idee für bedenkenswert.

Muss man sich daher die Bundeskompensationsverordnung noch mal genauer anschauen?
Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden kann. Wir sprachen bereits über Ihre Idee der Ausgleichsflächen. Wenn es um die konkreten Anforderungen für solche Gärten geht, müsste man sich dann sicherlich auf Ebene der Kenner eingehend unterhalten.

Seit 1983 schützt das Bundeskleingartengesetz die Kleingärten vor Räumung oder zu hohen Pachtkosten für die einzelnen Pächter. Wie sehen Sie vereinzelte Initiativen, dieses Bundeskleingartengesetz angeblich „modernisieren“ zu wollen?
Ich bin ein Freund von Kleingärten und finde, sie sollten geschützt bleiben. Wenn eine Kolonie mal der Stadtentwicklung im Wege steht, sollten alle Seiten genug guten Willen aufbringen, nach einem alternativen Standort für die betroffenen Gärten zu suchen.

Was bedeutet das konkret für Ihre Haltung zum Bundeskleingartengesetz? Muss es so erhalten bleiben?
Ja, ich werde mich allen Bestrebungen widersetzen, die Rechtsposition der Kleingärten zu verschlechtern.

Der Bundeskanzler im InterviewFoto: Verlag W. Wächter

In einigen Regionen Deutschlands kämpfen die Vereine nicht gegen eine Flächenkonkurrenz, sondern gegen zu hohen Leerstand. Sie wünschen sich verstärkte Unterstützung auch durch die Bundesregierung. Sie sagen, dass dies auch ein staatliches Erbe sei. Wenn es darum geht, leer stehende Parzellen abzuräumen, müssen die Kosten dafür von den verbliebenen Mitgliedern geschultert werden. Wie kann die Bundesregierung diesen Vereinen helfen?
Der Bund kann viel, aber nicht alles. In erster Linie sollten sich diejenigen mit der Frage befassen, die über die nötigen Orts- und Sachkenntnisse verfügen – also die Gemeinden, Städte, Landkreise und Länder. Wenn dabei tragfähige Konzepte entstehen, kann der Bund immer auch ein Partner sein.

Das heißt, Leerstand ist für Sie erst einmal kommunale Aufgabe?
So ist es geregelt, ja.

In Deutschland nutzen ungefähr fünf Millionen Menschen einen Kleingarten. Welche Rolle spielt das Kleingartenwesen insgesamt für Deutschland?
Kleingärten sind ein wichtiger Teil unserer Natur. Hier kommen wir zusammen, hier verbringen wir Zeit miteinander, stehen füreinander ein – und feiern auch viel miteinander. Zugleich kümmern wir uns um das Ökosystem unserer Stadt, um die Natur und um frische Luft. So etwas gibt es nur in ganz wenigen Ländern – deshalb sollten wir dieses Kulturerbe in Deutschland pflegen.

Welche Rolle spielen die Vereine, etwa in den Bereichen Integration oder der Förderung von Umweltgerechtigkeit?
Wer sich auskennt, weiß: Ohne Ehrenamt funktioniert in Deutschland wenig. Das gilt auch für das Engagement, dass viele Kleingartenvereine an den Tag legen. Das ist wichtig für unser Miteinander. Wir brauchen das! Ich finde das wichtig für unser Land.

Das Interview führte Sören Keller,
Redaktion „Gartenfreund“, Verlag W. Wächter.

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