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Schmetterlingsraupen sind Verwandlungskünstler

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TagpfauenaugeFoto: Roßbeck Bildschöner Verwandlungskünstler: das Tagpfauenauge Wir sagen, der oder die habe sich ganz anders „entpuppt" als ursprünglich angenommen. Auch, dass irgendwer irgendwen erfolgreich „umgarnt" hat, ist eine häufige Redewendung. Kaum ein Mensch aber bringt diese Verben, so eingesetzt, gedanklich noch mit der Schmetterlingsmetamorphose in Verbindung.


Ei - Raupe - Puppe - Falter

Schmetterlingsmetamorphose – ein Begriff, aus stol­zen sechsundzwanzig Buchstaben bestehend, wovon gar zwölf von wissenschaftlicher Bedeutung künden. Was den Einstieg ins Thema insofern erleichtert, als sich hinter dem Wortungetüm tatsächlich Hochkompliziertes verbirgt. Obwohl Metamorphose, gut deutsch ausgedrückt, ganz einfach Verwandlung bedeutet.

Zu den Verwandlungskünstlern gehören Schmetterlinge. Viermal in ihrem kurzen Leben wechseln sie das Erscheinungsbild: erst Ei, dann Raupe, dann Puppe, dann Fluginsekt.

Gehen wir am Beispiel des Tagpfauenauges ins Detail. Im Frühjahr befreien Sonnenstrahlen Überwinterer von ihrer Kältestarre. An einem geschützten, dunklen Platz – in Mauerritzen, Mauselöchern oder im Gebälk eines Dachbodens oder eines Schuppens – haben die Falter die kalte Jahreszeit überstanden.

Bald stimmen sich Weibchen und Männchen im Tandemflug auf den Geschlechtsakt ein. Danach sind ihre Tage gezählt. Das männliche Tierchen hat seine Pflicht zur Arterhaltung jetzt schon erfüllt, dem weiblichen bleibt, „fortpflanzungstechnisch", noch eine Galgenfrist.


Wichtige Brennnessel

Setzt der Legetrieb ein, strebt das zarte Geschöpf einem ausgedehnten Brennnesselfeld zu – Inhaltsstoffe der Pflanzen locken vermutlich auf die richtige Fährte –, hängt sich an die Unterseite eine Blattes und klappt die Flügel über dem Rücken zusammen. Nach seiner Rückkehr in luftige Höhen ist die Hinterlassenschaft der Stippvisite sichtbar: ein Häufchen winzigkleiner, grüner, längs gestreifter Eier, in denen sich die Embryos entwickeln.

Wenige Tage später schlüpfen Räupchen und vertilgen, bevor sie ihre spezielle Biokost in Angriff nehmen, die Kinderzimmer. Davon einmal abgesehen, wird von ihnen einzig und allein Brenn­nes­sel­grün als Nahrung akzeptiert! Lieber würden Tagpfauenaugen-Raupen verhungern, als auf anderes Grünfutter auszuweichen.

Den „Geschwistern" des Geleges sind Berührungsängste fremd. Möglichst eng bleibt man vorerst beisammen, um sich im Familienverband einer Fressorgie sondergleichen hinzugeben.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang rasch Folgendes erzählen: Am Rande der Terrasse unseres Hauses steht eine Erle, die ziemlich häufig von Larven des Erlensplintkäfers heimgesucht wird. Zu Hunderten, ach was sag' ich, zu Tausenden fallen sie zur besten Terrassenzeit über das Blattwerk her. Zurück bleiben nur Skelette.

Man kann die nimmersatte Sippschaft – ungelogen – schmatzen hören. Und wie feiner Staub rieselt der Kot dann auf den Boden, denn Gartentisch und Gartenstühle, die normalerweise im Erlenschatten stehen, werden im Fall des Falles für etwa zwei Wochen beiseite gestellt.


Gefräßigkeit bedingt „Robenwechsel"

Unsere Tagpfauenaugen schaffen sich im zweiten Abschnitt ihres Daseins vier- bis fünfmal neue, jeweils größere Jugendkleider an. Die Gewichtszunahme nämlich ist der Gefräßigkeit ent­spre­chend. Als hörte sie auf ein geheimes Kommando, entledigt sich die Raupenkommune fast gleichzeitig ihrer schwarzen Häute. Kurz bevor die jeweils letzten Hüllen fallen, löst sich die Clique jedoch auf. Jede Raupe sucht für sich nach einem hoch gelegenen Aufenthaltsort. Seine Wahl erfordert allerdings Voraussicht. Ob wirklich eine Flügelspannbreite Freiraum zur Verfügung steht, prüft die Raupe anhand weit ausholender Bewegungen des Vorderleibes in allen Richtungen.

Aus Kopfdrüsen beginnt die Raupe nun, ein Sekret abzusondern, hauchdünnen Seidenfäden gleich. Zunächst webt sie ein Ruhekissen und gleitet langsam darüber hinweg. Sobald die Hinterleibspitze das Gespinst berührt, bewegt die Raupe sich keinen Millimeter weiter, verhakt sich mit win­zig­klei­nen Borsten im Polster, lässt sich kopfüber fallen und baumelt schließlich an Zweig oder Halm. Nach fünfzehn Stunden etwa ist der Oberkörper so angeschwollen, dass die angespannte Haut zuerst im Nacken platzt. Peu à peu schält sich der ganze, meist hellgrüne, gepanzerte Leib der Puppe heraus.


Hormone sind an allem „schuld"

Äußerlich fast bewegungslos, beginnt in ihrem Inneren eine beinahe unglaubliche Verwandlung. Nach zirka zehn Tagen „Ruhe"zeit ist das Wunder vollbracht. Raupenorgane wurden bis auf kleine Reste zu einem formlosen Brei abgebaut. Und aus dieser Ursuppe – die Anleihe an die Astronomie sei erlaubt – entsteht die Faltergestalt.

Hormone liefern dazu die Triebkraft. Immer deutlicher schimmern letztlich durch die Puppenhülle die prächtigen Farben des Tagpfauenauges. Klein ist es noch, so unmittelbar nach dem Schlüpfen, und ganz weich und fein säuberlich zusammengelegt sind seine Flügel. Das Gebilde erinnert, pardon, mehr an einen Handtaschenschirm als an einen Schmetterling.

Eingepresste Körperflüssigkeit pumpt schließlich das Tagpfauenauge zu voller Größe und Schön­heit auf. Sehr zu unserer Freude. Ob auch zur eigenen, sei dahingestellt. Ob Männchen oder Weibchen, seine Hauptaufgabe besteht ab sofort darin, die (überwinternde) Sommergeneration auf den Weg zu bringen und danach ... Ach, Sie wurden ja schon anfangs mit dem traurigen Ende einer jeden Schmetterlings-Liebesbeziehung konfrontiert!

Brigitte Roßbeck